Covid-19-Patienten: Kollateralschädigung des Gehirns – DER SPIEGEL
Menschen, die wegen Covid-19 ins Krankenhaus eingeliefert wurden, leiden häufig unter neurologischen Problemen. Zu diesem Schluss kommen Forscher, die mit Igor Koralnik vom Betreiber des Northwestern Medicine Hospital in Chicago zusammenarbeiten. Ihrer Analyse zufolge zeigten etwa vier von fünf mit einer Koronararterienerkrankung infizierten Personen (82 Prozent), die irgendwann als Krankenhaus behandelt werden mussten, entsprechende Symptome.
Das Koralnik-Team überprüfte die Akten von 509 infizierten Personen, die vom 5. März bis 6. April in zehn Krankenhäusern in Chicago behandelt wurden. Etwa ein Viertel der Patienten musste beatmet werden. Die meisten neurologischen Zustände des Patienten waren relativ mild und vorübergehend. Fast 45 Prozent der Patienten klagten inzwischen über Muskelschmerzen, etwa 38 Prozent berichteten von Kopfschmerzen.
Als dritthäufigstes Symptom zeichneten Experten jedoch pathologische Zustände des Gehirns auf, die sogenannte Enzephalopathie. Sie traten bei fast einem Drittel der im Krankenhaus untersuchten Covid 19-Patienten auf, berichten Wissenschaftler in Fachmagazin „Annals of Clinical and Translation Neurology“. Experten haben nicht untersucht, wie häufig diese Störungen bei allen Menschen sind, die mit einer Erkrankung der Herzkranzgefäße infiziert sind.
Vom Aufmerksamkeitsdefizit zum Koma
„Enzephalopathie ist ein Überbegriff für etwas, das mit dem Gehirn schief geht“, sagte Koralnik. Die New York Times“. Laut den Forschern führt die Krankheit bei einigen Patienten mit Covid 19 zu Aufmerksamkeitsstörungen, während andere Probleme mit dem Gedächtnis oder der Kurzzeitkonzentration haben. Verwirrung, Taubheit – ein Zustand, in dem wache Patienten gefroren aussehen und nicht mehr auf Sprache reagieren – und Koma sind ebenfalls aufgetreten.
Offensichtlich sind Enzephalopathien auch ein Indikator für das Fortschreiten einer Covid 19-Krankheit. Patienten mit diesen Symptomen wurden schwerer krank und mussten laut Analyse im Krankenhaus dreimal länger behandelt werden als Covid 19-Patienten ohne die entsprechenden Befunde. Ihr Sterberisiko war ebenfalls siebenmal höher als in der Vergleichsgruppe.
Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus konnten nur 32 Prozent der betroffenen Patienten ihren Alltag selbständig fortsetzen, wie zum Beispiel Kochen, berichten Koralnik und seine Kollegen. Zum Vergleich: Unter den 19 Covid-Fällen, die im Krankenhaus ohne Enzephalopathie behandelt wurden, war dies bei 89 Prozent der Fall.
Die Forscher fanden die Symptome hauptsächlich bei älteren Patienten über 65 Jahren und bei Männern. Die Betroffenen hatten auch häufig frühere Krankheiten wie andere neurologische Störungen, Krebs, Nierenerkrankungen, Diabetes, Herzinsuffizienz, Bluthochdruck oder hohe Cholesterinspiegel.
Es ist unklar, was das Gehirn beeinflusst
Was bei Patienten mit Covid 19 Enzephalopathien verursacht, ist noch nicht klar. Verschiedene Krankheiten können die Ursache sein. Die meisten Experten haben bisher angenommen, dass Entzündungen und damit die Reaktion des Immunsystems auf das Sars-CoV-2-Coronavirus die Ursache sind.
Dies zeigt auch eine aktuelle Analyse aus Deutschland. Forscher aus Hamburg und Freiburg untersuchten 43 Tote, die mit Sars-CoV-2 infiziert waren. Bei 21 Toten fanden sie das Virus im Hirnstamm oder in den dort entstehenden Nerven.
Die Mengen des Virus waren sehr gering, schreiben die Forscher jedoch ein Fachblatt „Lancet Neurology“. Patienten mit der höchsten Viruslast hätten auch nicht mehr Veränderungen im Gehirn gezeigt als diejenigen, die starben, bei denen kein Virus gefunden wurde. Die Forscher zeigten jedoch eine Immunantwort bei den Toten, deren Gehirn infiziert war.
Daher gehen sie auch davon aus, dass Entzündungszellen für neurologische Symptome verantwortlich sein können, die von Geruchsstörungen bis hin zu Kopfschmerzen und Schlaganfällen reichen. „Wir konnten zeigen, dass nicht das neue Coronavirus selbst das Gehirn schädigt, sondern dass neurologische Symptome wahrscheinlich eine indirekte Folge der Virusinfektion sind“, sagte Markus Glatzel vom Institut für Neuropathologie am Eppendorf University Medical Center (UKE).
Unterschiedliche Studien, leicht unterschiedliche Ergebnisse
Experten beginnen gerade zu verstehen, wie Sars-CoV-2 das Nervensystem beeinflusst, auch auf lange Sicht. Nach Enzephalopathien zeigte die Coralnik-Studie in Chicago auch Schwindel unter den häufigsten neurologischen Symptomen. 30 Prozent der Patienten klagten darüber.
Geschmacks- und Geruchsstörungen sind bei etwa 16 bzw. 11 Prozent aufgetreten. Andererseits waren Schlaganfälle, Bewegungsstörungen sowie motorische und sensorische Defizite mit einem Verhältnis zwischen 0,2 und 1,4 Prozent sehr selten.
Neben dem Koralnik-Team haben bisher zwei weitere Gruppen untersucht, wie häufig solche Krankheiten im Zusammenhang mit einer Sars-CoV-2-Infektion auftreten. Eine Studie aus China fand es bei etwa 36 Prozent der Patienten (mehr dazu Lies hier), eine Untersuchung Europa ungefähr 57.
Zur Erinnerung: Forscher aus den USA kamen mit einem Wert von 82 Prozent heraus. Sie führen unterschiedliche Ergebnisse unter anderem auf die Tatsache zurück, dass Krankenhäuser in Chicago nicht überfüllt waren und dass neurologische Beschwerden genauer erfasst wurden. Nur größere Studien, in denen Symptome systematisch dokumentiert werden, können Klarheit schaffen.
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