Der Euro steigt: Deshalb wird die gemeinsame Währung weiter steigen
S.Es dauerte nur ein paar Sekunden. Aber die Symbolik war von großer Bedeutung. Als der Euro am Dienstag zum ersten Mal seit Anfang 2018 wieder kurz die Marke von 1,20 USD überschritt, wurde letzterem klar, dass eine drastische Trendwende am Devisenmarkt stattfand. Plötzlich: Euro Hui, Dollar ugh. Und das nach Jahren der Dollarstärke.
Es ist der jüngste Höhepunkt in einer Entwicklung, die seit mehreren Monaten andauert. Seit Mitte Mai ist der Euro von 1,08 auf 1,20 Dollar gestiegen, was einer Aufwertung von zehn Prozent in wenigen Wochen entspricht. Und das ist noch lange nicht vorbei. Nach Ansicht vieler Experten werden in den kommenden Monaten völlig unterschiedliche Marken übertroffen. Weil die gemeinsame Währung von einer Reihe positiver Faktoren bestimmt wird und in gewissem Sinne einen Moment des Glücks erlebt.
So schön es auf den ersten Blick aussieht, so problematisch ist es für die deutsche Wirtschaft. Es kann immer noch mit der jüngsten Aufwertung fertig werden, aber an einem bestimmten Punkt wird sich dies ändern, insbesondere in der aktuellen Situation. Dann stellt sich die Frage, ob die Europäische Zentralbank eingreifen kann und wird.
Die Aufwertung des Euro erfolgte zu schnell
Am Dienstag tat sie es prompt, sobald die 1,20 geklettert war. Der Wechselkurs ist wichtig für die Politik der EZB, kündigte ihr Chefökonom Philip Lane an – eine Banalität, aber die Erklärung hat den Kurs sofort abgebrochen. Es fiel zeitweise wieder unter 1,18 Dollar. Aber es muss nicht unbedingt lange dauern.
Die Aufwertung der letzten Monate ist zu schnell erfolgt, sagt Kit Juckes, Devisenexperte bei der Investmentbank Société Générale. „Aber es scheint uns klar zu sein, dass wir uns am Beginn einer mehrjährigen Phase des Dollar-Niedergangs befinden.“ Daher wird die Marke von 1,25 Dollar pro Euro innerhalb der nächsten zwölf Monate erreicht. Die Devisenexperten von Goldman Sachs als Ziel. Die japanische Bank Mizuho erwartet bis Juli 2021 sogar 1,30 USD.
Ein Hauptgrund dafür liegt außerhalb Europas in den USA. Denn als Reaktion auf die Corona-Krise hat die amerikanische Zentralbank die Zinssätze drastisch gesenkt und gleichzeitig wieder massive Anleihekäufe gestartet. Infolgedessen ist der Realzins, dh der Zinssatz abzüglich der Inflation, in den USA jetzt negativ, und die Anleger erwarten nicht, dass sich dies bald ändern wird.
Dies geht aus den Renditen inflationsgebundener US-Staatsanleihen hervor. Ihr Zinssatz passt sich der Inflation an, und hier sind die Renditen seit Jahresbeginn von plus eins auf minus ein Prozent gefallen – mit anderen Worten: Anleger erwarten auch in Zukunft negative Realzinsen. Dies bedeutet, dass die Zinsdifferenz zur Eurozone dramatisch geschrumpft ist und einer der Hauptgründe für Investitionen in den USA aufgehört hat zu existieren.
Gleichzeitig nimmt die US-Regierung beispiellose Schulden auf. „Die Verschuldung der USA hat bereits Ausmaße erreicht, die den Umfang der Politik in Zukunft erheblich einschränken werden“, sagt Ivan Mlinaric, Geschäftsführer der Investmentgesellschaft Quant Capital. Das untergräbt das Vertrauen in den Dollar.
Gleichzeitig gelingt es der US-Regierung nicht, die wirtschaftliche Grundlage zu stärken. Weil die Wirtschaftskrise dort nicht enden wird. Das vom Conference Institute Research Institute monatlich gemessene Verbrauchervertrauen ist im August erneut gesunken, und vor allem liegen die Erwartungen für die Zukunft sogar unter dem vorherigen Tief vom April.
Ganz anders auf dieser Seite des Atlantiks. Insbesondere in Deutschland hellt sich das Bild deutlich auf. Letzte Woche hat die Bundesregierung ihre Wirtschaftsprognose für dieses Jahr nach oben korrigiert. Anstelle eines Rückgangs von 6,3 Prozent wird nun ein Minus von 5,8 Prozent erwartet. Bundeswirtschaftsminister Altmaier hofft sogar, dass ein „noch etwas besseres Ergebnis“ möglich ist.
Auch der Chefökonom der Commerzbank, Jörg Krämer, hat am Freitag seine Prognose durcheinander gebracht. Auf jeden Fall war er immer etwas optimistischer und prognostizierte für Mai einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 5,5 Prozent. „Die Wirtschaft hat sich jetzt deutlich erholt, und im dritten Quartal ist ein sehr starker Anstieg von neun Prozent gegenüber dem zweiten zu verzeichnen“, sagt er. Er hat daher die Prognose für das Gesamtjahr auf minus 4,5 Prozent angehoben.
Aber auch in der übrigen Eurozone breitet sich Optimismus aus. „Die wirtschaftliche Erholung in den meisten anderen Euro-Ländern hat sich auch im August fortgesetzt“, schreiben die Ökonomen des Renteninvestors Bantleon in einer aktuellen Analyse, „und es gibt auch Anzeichen dafür, dass der Aufwärtstrend im Herbst nicht aufhören wird.“ Sie wollen daher, dass ihre Prognose für das Euro-Währungsgebiet nach oben korrigiert wird, sobald die endgültigen Zahlen für das zweite Quartal vorliegen. Krämer hat dies bereits getan und prognostiziert nun für die Eurozone ein Minus von 6,5 Prozent anstelle der vorherigen sieben Prozent.
Und diese Dynamik wird sich auch im kommenden Jahr fortsetzen, glaubt Johannes Müller, Leiter des Prognoseteams der DWS-Fondsgesellschaft. „Die Eurozone wird voraussichtlich 2021 mit Hilfe des Wiederaufbaufonds einen Aufschwung erleben, der das Wachstum in den am stärksten betroffenen Ländern, insbesondere in Spanien und Italien, ab dem zweiten Quartal 2021 unterstützen wird“, sagt er.
Die Prognose für die Vereinigten Staaten wird jedoch mit großen Vorbehalten gemacht. „Die Pandemie wurde aufgrund der raschen Wiedereröffnung nie wirklich unter Kontrolle gebracht“, sagt Müller. „Aufgrund des politischen Stillstands in Washington wurden einige fiskalische Unterstützungsmaßnahmen nicht verlängert und haben die wirtschaftliche Stimmung entsprechend gedämpft.“
Die Ratingagentur Moody’s sieht das ähnlich. Die wirtschaftliche Erholung in der Eurozone ist stärker begründet als in den USA oder Großbritannien. Als wichtigen Grund nennen sie auch den Wiederaufbaufonds. Und die Ökonomen der Investmentbank Goldman Sachs schreiben: „Wir gehen davon aus, dass die Wirtschaft des Euroraums andere Länder übertreffen wird.“ Sie gehen daher davon aus, dass der Euro derzeit unterbewertet ist.
Es gibt also mehrere Entwicklungen, die den Euro-Wechselkurs nach oben treiben: die wirtschaftliche Schwäche der USA und die niedrigen Zinsen dort einerseits – und andererseits die relative wirtschaftliche Stärke und die politische Einigung über einen gemeinsamen Wiederaufbaufonds in die Eurozone. Daher steigt der Euro-Wechselkurs nicht nur gegenüber dem Dollar. Der Euro-Index, der den Euro im Verhältnis zu 20 anderen Währungen stellt, hat in den letzten Wochen ein Mehrjahreshoch erreicht.
Dies hat bereits sehr spezifische Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft. „Nach unseren statistischen Schätzungen spricht die bisherige Aufwertung des Euro gegenüber den Währungen der wichtigsten Handelspartner für einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um einen Viertelprozentpunkt“, sagt Krämer, Chefökonom der Commerzbank. Ludovic Subran, Chefökonom der Allianz, hat berechnet, dass eine anhaltende Aufwertung des Euro um zehn Prozent zu einem Wachstumsrückgang von rund 0,2 Prozentpunkten führen wird.
Krämer weist jedoch auch darauf hin, dass dies im Vergleich zu dem durch die Pandemie verursachten Absturz kaum von Bedeutung ist. Und Subran beanstandet, dass rund 60 Prozent der Exporte deutscher Unternehmen in andere EU-Länder gehen, wo der Großteil der Konten in Euro abgerechnet wird. Darüber hinaus bedeutet die Schwäche des Dollars auch, dass rohes Material und Zwischenprodukte können billiger gekauft werden.
Immerhin entspricht der aktuelle Wechselkurs von 1,20 Dollar pro Euro in etwa dem langjährigen Durchschnitt und ist daher kein Problem, sagt Stefan Bielmeier, Chefökonom der DZ Bank. „Wenn es vorübergehende Probleme gibt, dann nur, weil das Upgrade sehr schnell erfolgte“, sagt er.
Aber genau das scheint die Angst der EZB zu sein, weshalb ihr Chefökonom Philip Lane letzte Woche intervenierte. Immerhin ist eine Aufwertung des Devisenmarktes um zehn Prozent innerhalb von rund drei Monaten eine ungewöhnlich schnelle Trendwende. Darüber hinaus ist die Marke von 1,20 in den Sitzungssälen der Zentralbank eine wichtige Schwelle. „In der Vergangenheit wurden über 1,20 neue Maßnahmen angekündigt, insbesondere Zinssenkungen“, sagt Subran.
Die große Frage, die in der kommenden Woche beantwortet werden könnte, ist, ob dies auch diesmal der Fall sein wird und ob auf Worte Taten folgen werden. Der EZB-Rat tritt am Donnerstag, einen Tag nach dem Treffen der Finanzminister der Euro-Gruppe in Berlin, in Frankfurt zusammen. Subran glaubt jedoch noch nicht an neue Maßnahmen.
Zumal sie nicht zu viele Möglichkeiten haben. Praktisch alle Experten schließen eine weitere Zinssenkung aus Grundtarif ist bereits Null, der Einlagensatz, den Banken zahlen müssen, beträgt sogar minus 0,5 Prozent. Noch niedrigere Negativzinsen würden nur das Bankensystem schädigen.
Alles, was bleibt, ist die Zunahme der Anleihekäufe. Subran hält dies für wahrscheinlich, sofern die deflationären Tendenzen bis Dezember nicht nachlassen. Aber dann wäre das Ende der Geschichte allmählich erreicht und der Weg nach oben wäre offen für den Euro. Subran glaubt aber auch, dass es spätestens bei 1,30 Euro enden würde. „Weil die damit verbundene Verschlechterung der Wirtschaft des Euroraums zu einer Selbstkorrektur des Wechselkurses führen sollte.“ Hier würde sich der Trend spätestens umkehren und der Euro würde seine Glückssträhne beenden.