Deutschland muss in Sachen Whistleblower noch etwas von Wirecard lernen
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Rula Khalaf, Herausgeberin der Financial Times, wählt in diesem wöchentlichen Newsletter ihre Lieblingsgeschichten aus.
Als der britische Leerverkäufer Matthew Earle Ende 2016 die Whistleblower-Hotline der deutschen Finanzaufsicht BaFin anrief, um verdächtige Aktivitäten beim deutschen Zahlungsunternehmen Wirecard zu melden, kam er nicht weit.
Nachdem er den Namen des Unternehmens erwähnt hatte, sagte Earl, die freundliche Person am anderen Ende habe ihn gebeten, später noch einmal anzurufen, mit der Begründung, sein Englisch sei nicht gut genug. Beim zweiten Versuch legte die BaFin auf, nachdem sie sagte, er rufe wegen Wirecard an. Als Mitverfasser eines anonymen Berichts über mutmaßlichen Buchhaltungsbetrug und Geldwäsche bei Wirecard wurde Earl zum Ziel einer unbegründeten strafrechtlichen Untersuchung durch die Staatsanwaltschaft.
Solche Erfahrungen waren typisch für Whistleblower in Deutschland: Im Land herrscht seit langem Misstrauen gegenüber Personen, die den Behörden das Fehlverhalten anderer Personen melden. Diese Ansicht ist zum Teil in der deutschen Geschichte verwurzelt: Sowohl die Nazis als auch die Kommunisten in der Deutschen Demokratischen Republik forderten die Bürger auf und forderten sie dazu auf, verdächtiges Verhalten zu melden.
Whistleblower genießen seit langem, wenn überhaupt, kaum rechtlichen Schutz. Jahrzehntelang konnten sogar Arbeitnehmer, die strafrechtlich relevantes Verhalten ihres Arbeitgebers der Polizei meldeten, gerichtlich entlassen werden. Die Gerichte befanden, dass die Whistleblower unehrlich gehandelt und ihre Loyalitätspflicht gegenüber ihrem Arbeitgeber verletzt hätten. In einem bahnbrechenden Urteil im Jahr 2011 hob der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte diese Ansicht auf.
Während die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht nach dem Zusammenbruch von Wirecard im Juni 2020 ihre Hinweisgeberstelle neu organisiert und gestärkt hat, hat sich die Rechtslage von Mitarbeitern, die Fehlverhalten gemeldet haben, vor allem aufgrund des Drucks der Europäischen Kommission nur langsam verbessert.
Im Jahr 2019 verfügte Brüssel, dass die Mitgliedstaaten sichere Kanäle für Whistleblower schaffen und sie vor Vergeltungsmaßnahmen schützen müssen. Deutschland hat lange gezögert, diese Regeln umzusetzen, hat sie erst im vergangenen Sommer umgesetzt und die Umsetzungsfrist für diese Regeln um zwei Jahre verpasst. Es wurde vor dem Europäischen Gerichtshof wegen angeblicher Verletzung von EU-Vorschriften verklagt. Simon Gerdemann, Wissenschaftler für Whistleblower-Schutz an der Universität Göttingen, rechnet damit, dass Deutschland für die Verzögerung ein Bußgeld von rund 30 Millionen Euro zahlen muss.
Neue Regeln zum Schutz von Whistleblowern, die seit Juli in Kraft sind, haben die Meldung von Fehlverhalten einfacher und weniger riskant gemacht. „Wenn man bei Null anfängt, ist jeder Fortschritt eine Verbesserung“, sagt Annegret Walter, Leiterin des Deutschen Whistleblower-Netzwerks. Einer der größten Fortschritte sei das Verbot jeglicher Repressalien gegen Whistleblower gewesen.
In den ersten sieben Monaten ihrer Einrichtung im Juli 2023 gingen bei der neuen nationalen Whistleblower-Stelle beim Bundesamt für Justiz 478 Whistleblower-Meldungen ein, von denen 24 als strafrechtlich relevant eingestuft und an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet wurden, teilte die Stelle der Financial Times mit.
Experten zufolge bleiben die neuen deutschen Gesetze jedoch noch hinter den Anforderungen der EU-Regeln zurück. Einer der größten Nachteile ist das Fehlen jeglicher finanzieller Entschädigung für Whistleblower, die nichtfinanzielle Folgen wie etwa psychische Gesundheitsprobleme aufgrund von Mobbing erlitten haben. Laut Gerdmann ist dies eines von vielen Beispielen dafür, dass das neue deutsche Hinweisgebergesetz im Widerspruch zu EU-Richtlinien steht. Er warnte, dass diese Fälle wahrscheinlich zu einer zweiten Vertragsverletzungsklage gegen Deutschland führen würden.
Ein weiterer Nachteil sei, dass Compliance-Beauftragte keinen Rechtsschutz genießen, warnt Manuela Mackert, ehemalige Chief Compliance Officer der Deutschen Telekom und heute leitende Geschäftsführerin der Beratungsfirma Ankura.
Es wird darauf hingewiesen, dass Datenschutzbeauftragte und Geldwäschebeauftragte zwar nach deutschem Recht nicht gekündigt werden können, Compliance-Beauftragte jedoch wie normale Mitarbeiter behandelt werden und keinen solchen besonderen Schutz genießen. „Manchmal muss Compliance störend sein, um dem angeblichen Fehlverhalten auf den Grund zu gehen“, sagt sie und fügt hinzu, dass dies vollständige Unabhängigkeit und Arbeitsplatzsicherheit erfordert, da interne Untersuchungen mit den persönlichen Interessen von Führungskräften kollidieren können. Im Idealfall, so Mackert, sollten Chief Compliance Officers selbst unabhängige Vorstandsmitglieder sein und das Recht haben, direkt mit dem Prüfungsausschuss zu kommunizieren.
Auch vier Jahre nach dem Wirecard-Debakel bleibt es für deutsche Unternehmen ein harter Kampf, aus dem Skandal die richtigen Lehren zu ziehen.
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