Ein Jahr wartet auf Afghanen, die ein Visum zur Familienzusammenführung in Deutschland beantragen
Tausende Afghanen warten weiterhin auf einen Termin, um ein deutsches Visum für den Familiennachzug zu beantragen, der das Land bereits verlassen hat. Die Sicherheitslage sowie die Menschenrechte werden im Land nach der Regierungsübernahme der Taliban im August 2021 zunehmend als gefährdet angesehen.
In den deutschen Visastellen der deutschen Botschaften in Islamabad/Pakistan und Neu-Delhi/Indien sind nach Angaben der Bundesregierung rund 5.000 Personen registriert. In diesem Band beträgt die entsprechende Wartezeit für ein Visum mehr als ein Jahr. Nach näheren Angaben der Bundesregierung haben sich in Islamabad 3455 Afghanen und in Neu-Delhi etwa 1500 Afghanen zu einem Termin angemeldet.
Seit die deutsche Visastelle in der afghanischen Hauptstadt Kabul 2017 geschlossen hat, können Visa zum Familiennachzug bei den deutschen Botschaften in Neu-Delhi und Islamabad beantragt werden.
Lange Wartezeiten trotz Nutzung von „Ermessensspielräumen“
Um diesen langwierigen Prozess zu erleichtern, wurden die Visastellen von der Bundesregierung angewiesen, in großem Umfang „Ermessensbefugnisse“ auszuüben. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Links-Bundestagsabgeordneten Clara Bonger hervor. Berichten zufolge wurden zu diesem Zweck verschiedene Schritte unternommen. Unter anderem ist die zeitaufwändige Prüfung afghanischer amtlicher Dokumente derzeit ausgesetzt.
Das Auswärtige Amt hat zudem damit begonnen, einige Anträge direkt zur Bearbeitung nach Deutschland zu überstellen. Dafür wurde unter anderem eine neue Stelle im Auswärtigen Amt geschaffen.
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Die Frauen, die am meisten leiden
Eine weitere große Hürde für viele Afghanen besteht nach Angaben der Bundesregierung darin, einen Weg zu finden, Afghanistan zu verlassen, nur um die Visumantragsfrist einzuhalten. Die Taliban hindern Menschen weiterhin daran, das Land ohne Vorlage eines Passes zu verlassen. Allerdings haben einige Nachbarländer seit der Machtübernahme der Taliban im vergangenen August die Einreise für Afghanen eingeschränkt.
Gerade für alleinreisende Frauen wird es immer schwieriger, Afghanistan überhaupt zu verlassen, um die für die Einreise nach Deutschland notwendigen Reisedokumente zu erhalten. Die Taliban haben seit ihrer Machtergreifung die Rechte der Frauen stark eingeschränkt und greifen auch zunehmend Menschenrechtsaktivisten, Medienschaffende und ehemalige Angehörige des westlichen Militärs an.
Journalisten in Not
Unterdessen hat Reporter ohne Grenzen (RSF) seinen Aufruf zur raschen Aufnahme und Unterstützung insbesondere von Medienschaffenden aus Afghanistan erneuert. Die Bundesregierung solle unverzüglich handeln und Aufnahmeprogramme für afghanische Journalisten und Medienschaffende einrichten, sagte die Organisation.
Christian Meir, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen in Deutschland, betonte, dass es Menschen gibt, die jetzt Hilfe brauchen und es kaum erwarten können, ein langwieriges Aufnahmeprogramm zu starten. Er fügte hinzu, dass nach Informationen von Reporter ohne Grenzen auch die bestätigten Härtefälle noch nicht bearbeitet seien, und pochte darauf, dass diese Fälle schnell bearbeitet und ohne weitere Verzögerung mit den Angehörigen zusammengeführt würden.
Er betonte, dass afghanischen Staatsbürgern, deren Visa in einem anderen Land abgelaufen seien, bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine Haftstrafe drohe.
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20 Jahre Fortschritt rückgängig gemacht
Mehr sagte, die Taliban seien bei ihrer Verfolgung von Medienschaffenden in Afghanistan aggressiver geworden. Er erklärte, dass Journalistinnen seit Anfang dieser Woche gezwungen seien, ihre Gesichter im Fernsehen zu bedecken. Er fügte hinzu, dass viele Frauen aus Angst vor Repressionen längst aufgehört haben zu arbeiten, weglaufen oder sich verstecken.
Die afghanische Journalistin Mobina Say, die mit Hilfe von Reporter ohne Grenzen nach Deutschland geflohen ist, sagte, die afghanische Regierung und die internationale Gemeinschaft seien in der Vergangenheit immer wieder vor den Taliban und ihren Zielen gewarnt worden. Say, der frühere Chef von Radio Rabia Balkhi, sagte, dass alle Errungenschaften der letzten zwei Jahrzehnte wieder aufgegeben werden müssten und dass die Medien in Afghanistan nicht frei und transparent agieren könnten.
Seit der Machtergreifung der extremistisch-islamistischen Taliban-Bewegung im vergangenen August hat sich die Menschenrechtslage in Afghanistan deutlich verschlechtert. Vor allem die Rechte der Frauen wurden drastisch eingeschränkt – im öffentlichen und sogar im privaten Bereich.
Seit Kurzem nimmt auch die islamische Taliban-Bewegung die Medienlandschaft des Landes ins Visier. Im jährlich von Reporter ohne Grenzen veröffentlichten Pressefreiheitsindex rangiert Afghanistan nun auf Platz 156 von 180 Ländern.
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mit epd, kna