Nations League: Wie Luis Enrique ein neues Team um Sergio Ramos aufbaut
Im Idealfall wird Spanien viele Strafen erhalten. Dann tritt Sergio Ramos ein und an diesem Punkt treffen sich alle seine Qualitäten: Technik und Chuzpe. Der Wunsch nach Scheinwerfer und Verantwortung. Konzentrationsfähigkeit und schnelle Reaktion, wenn er so lange wartet, bis der Torhüter irgendwo wackelt. Oder bis es zu lange stehen geblieben ist und nur noch hineingeschoben werden muss. Im Wilden Westen hätte Ramos jedes Duell gewonnen. Im Fußball verwandelte er 19 Strafen in Folge.
Nicht zuletzt deshalb war Innenverteidiger Ramos in dieser Saison zweitbester Torschütze des spanischen Meisters Real Madrid. Und ist mit acht Toren der mit Abstand beste Torjäger der Nationalmannschaft in den zwei Jahren seit der WM 2018.
Andererseits können wir natürlich nicht behaupten, Spiele mit Strafen zu lösen. Nicht für Spanien, das einst der Maßstab dafür war, wie geschickt das Spiel gespielt werden kann. Das dreht sich mit Kontrolle, aber auch Phantasie um einen einmaligen Dreifachtitel, zwei Europameisterschaften und eine Weltmeisterschaft in Serie zwischen 2008 und 2012.
Ein Leipziger Spieler ist ebenfalls im Team
Ramos, der europäische Feldspieler mit den meisten internationalen Einsätzen mit 170 Einsätzen, ist der letzte im aktuellen Team, der alle drei Titel gewonnen hat. Der Fixpunkt eines „Selección“, in dem nur Barcelonas Stratege Sergio Busquets und Sevillas Flügelspieler Jesús Navas das Gefühl kennen, mit der Auswahl den Titel zu gewinnen. Im Trainer Luis Enrique vor dem Nations League Spiel in Deutschland aber weitgehend übersprang der etablierte Nachfolger und fuhr mit so vielen neuen Gesichtern fort, dass die Presse über „Revolution“ schrieb.
Die Innenverteidiger Eric García (19, Manchester City) und Pau Torres (23, Villarreal), die Mittelfeldspieler Dani Olmo (22, Leipzig), Mikel Merino (24, San Sebastián) und Óscar Rodríguez (22, nur aus Leganés) werden ernannt Sevilla wechselte) oder die Angreifer Ferrán Torres (20, von Valencia nach City), Adama Traoré (24, Wolverhampton) und Ansu Fati (17, Barcelona). Insbesondere die Wahl des Stürmers zeigt, dass er die Champions League sorgfältig analysiert hat: Anstelle von Tiki-Taka interessiert er sich für Geschwindigkeit.
Sein Kader kann als Misstrauensvotum gegenüber den Altersgruppen angesehen werden, die Spaniens Ära des Erfolgs tatsächlich fortsetzen sollten. Von der hoch bewerteten Generation, die 2013 die U21-Europameisterschaft gewann, waren nur Rechtsverteidiger Dani Carvajal (Real Madrid), Stürmer Rodrigo Moreno (von Valencia bis Leeds United) und Bayerns Direktor Thiago der sich jedoch in der Nationalmannschaft nie unersetzlich gemacht hat. Stratege Koke, Künstler Isco, Angreifer Morata – alle bleiben aus. Luis Enrique ließ sogar die beiden Mittelfeldspieler Saúl und Dani Ceballos aus dem folgenden Jahr fallen, die er nach seinem Amtsantritt im Jahr 2018 zunächst erfolgreich als Eckpfeiler seiner Erneuerung verwendete.
Spaniens große Ära begann, als die Generation um Xavi und Iker Casillas bei den Junioren gewann und diese Welle bei den Erwachsenen fortsetzte. Die nächsten Jahre folgten. Aber der Prozess ist ins Stocken geraten. Spaniens Jugendmannschaften machen es immer noch gut, das Training bleibt ausgezeichnet. Aber der Transfer in die absolute Weltklasse unter Erwachsenen ist nicht mehr so reibungslos. Die besten heimischen Spieler der vergangenen Ligasaison in Spanien waren Ramos (34) und sein Positionskollege Gerard Piqué (33), der vor zwei Jahren aus der Nationalmannschaft ausgeschieden war.
Während die Qualifikationsrunde bei der WM 2014 noch ein Arbeitsunfall war und die Ko-Runde bei der Europameisterschaft 2016 ein Durcheinander der goldenen Ära war, ist der Weg zu einem erfolgreichen Neuanfang seitdem von purem Chaos begleitet. Bei der Weltmeisterschaft 2018 verlor Julen Lopetegui seinen Job wegen seines Folgevertrags mit Real Madrid zwei Tage vor Turnierbeginn. Das Jahr 2019 sah die Schlammkampf zwischen Interimstrainer Robert Moreno und Luis Enriquewer wegen der Krebstod seiner Tochter hatte eine Pause gemacht was sein ehemaliger Assistent als Verzicht verstand – zumindest bis zur EM 2020. Dann kam Corona, und so steht Luis Enrique erst seit März 2019 wieder am Rande.
Bei Real kümmert sich Ramos um die Jungs
Auf der Suche nach dem verlorenen Kompass steht er in allen Teilen des Teams vor einem Rätsel. Die beiden Torhüter Kepa Arrizabalaga und David de Gea, die in England arbeiten, stecken so in der ständigen Krise, dass viele Beobachter bereits den direkten Übergang zum neuen dritten Mann, dem 23-jährigen Unai Simón von Athletic Bilbao, fordern. In der Abwehr haben Luis Enrique und Moreno bisher erfolglos nach dem idealen Partner für Ramos gesucht. Ein Torgarant fehlt im Angriff, und dennoch fehlt der beste lokale Schütze der vergangenen Saison, Gerard Moreno (Villarreal), im Kader. Und selbst im Mittelfeld, das einst so stylisch war, sind die Tage der Opulenz vorbei. Zuletzt überzeugte Fabián Ruiz (Neapel).
Ramos erscheint: Der Kapitän sollte die neu verjüngte Auswahl mit seinen viel gepriesenen Führungsqualitäten wieder an die Spitze führen. Auf dem Platz schiebt er die Verteidigungslinie wie kaum ein anderer nach vorne, außerdem gilt er als angesehener Übervater. Außen ein böser Junge, innen eine gute Seele: In seinem Verein Real Madrid hat er sich wie kein anderer um die Integration der Jungen gekümmert.
„Er hat nie Angst, ist nie besorgt, er ist immer optimistisch“, sagte sein Ex-Trainer Carlo Ancelotti über ihn. Eigenschaften, die der Selección nur zu gut nutzen kann, wenn er von vorne anfängt.