Wie Maximilian Schachmann fuhr über die Ziellinie des Gipfels Puy Mary, fragte er sofort: „Und?“ Hatte seinen Teamkollegen Lennard Kämna die Bühne gewonnen? Nein, war die Antwort, Kämna war dem Kolumbianer Daniel Felipe Martínez im Bergsprint unterlegen. Schachmann rollte weiter, nahm Kämna in die Arme und ermutigte ihn.
Das ist der Profi aus dem deutschen Team Bora-hansgrohe hatte schon die luft dafür war beachtlich. Denn zuvor war Schachmann mehrere Kilometer allein an der Spitze gefahren, verfolgt von genau diesem Martínez, der auch Kämna hinter sich her schleppte. Als das Trio beim letzten Aufstieg im Massif Central zusammenkam, schien es, als müssten die beiden Bora-Profis ihre Konkurrenten nur taktisch überlisten, um die Etappe zu gewinnen. Aber am Ende war Martínez einfach der bessere Bergfahrer und lebhafter im letzten Sprint.
„Max hat es so gut für mich vorbereitet. Mir wurde es sozusagen auf einem Silbertablett präsentiert“, sagte Kämna, der vom zweiten Platz sichtlich enttäuscht war. Aber selbst wenn der 24-Jährige und sein Team den Etappensieg verpasst haben, zeigt der schwierige Tag mit rund 4400 Höhenmetern, dass Bora-hansgrohes neue Taktik richtig ist. Bis vor wenigen Tagen war nicht abzusehen, dass Schachmann und Kämna so schnell die Chance auf einen Etappensieg bekommen würden.
Bora-hansgrohe war tatsächlich mit zwei anderen Zielen dabei Tour de France gestartet: Emanuel Buchmann, Vierter im letzten Jahr, sollte es in Paris auf das Podium schaffen und mit dem nötigen Glück vielleicht sogar das gelbe Trikot anstreben. Und Peter SaganDer große Verdiener im Team sollte zum achten Mal das grüne Trikot gewinnen, ideal kombiniert mit dem Sieg des einen oder anderen Tages. Jetzt ist Buchmann nach seinem Sturz auf der Dauphiné-Tour immer noch krank und wird in der Gesamtwertung nicht aufsteigen, und Sagan scheint derzeit nicht in Form zu sein, um mit den schnellsten Sprintern mithalten zu können.
Deshalb hat Bora nach den Pyrenäen die Taktik geändert, jetzt sollen Fahrer wie Schachmann und Kämna und bald vielleicht auch Buchmann um Etappensiege kämpfen – der erste deutsche Tageserfolg seitdem John Degenkolb 2018. Wenn die Form der Tour absehbar gewesen wäre, hätte sich Bora-Chef Ralph Denk möglicherweise auf Versuche von Schachmann und Kämna verlassen, sich früher zu lösen. Zumindest war schon lange klar, dass die beiden das Zeug dazu hatten.
Chessman galt schon in jungen Jahren als großes Talent. 2016 wurde er vom Klein Constantia-Team, dem Quick-Step-Farmteam, unter Vertrag genommen. 2017 trat er dem professionellen Team bei, das sich hauptsächlich auf Klassiker und Etappensiege bei den großen Touren spezialisiert hat. Der in Berlin geborene Schachmann entwickelte sich später in Bora-hansgrohe weiter. Der 26-Jährige ist ein sehr vielseitiger Profi mit Stärken im Zeitfahren und auch bei kürzeren Touren. Anfang 2020 gewann er das einwöchige Rennen Paris-Nizza.
Schachmann kam mit dem Zentralmassiv offensichtlich gut zurecht. Sein Kollege Kämna ist jedoch talentierter im Klettern, und der 24-Jährige kann auch im Hochgebirge reiten. Er lieferte den Beweis damals für das Team Sunweb auf der Tour 2019, als er auf der schwierigen 18. Etappe mit Bergen wie dem Col d’Izoard und dem Col du Galibier wurde er Vierter vor Fahrern wie Egan Bernal oder seinem derzeitigen Mannschaftskapitän Buchmann.
Kurz darauf kündigte Kämna seinen Umzug nach Bora-hansgrohe an. „Ich muss mich hocharbeiten, weil ich in der Hierarchie etwas niedriger bin“, sagte er anschließend SPIEGEL Interview. Mit seiner Nominierung für die Tour und seiner Fahrt am Freitag hätte Kämna einen Sprung in die Teamhierarchie machen sollen. Auf jeden Fall vertrauen seine Chefs und seine Teamkollegen darauf, dass er einen Tag vor Paris gewinnt.
Sportdirektor Enrico Poitschke schien mit der Leistung von Kämna und Schachmann zufrieden zu sein – trotz des verpassten Etappensiegs. „Wir haben unser Bestes gegeben und werden versuchen, diesen Geist und diese Art von Rennen beizubehalten, um hoffentlich einen Etappensieg zu erzielen“, er sagte. Die 14. Etappe am Samstag scheint Kämna und Schachmann nicht mit einem schnellen Finale zu passen, sie müssen sich wahrscheinlich erst am Freitag erholen.
Aber die Alpen kommen bald und dann kann Kämna seine Kletterfähigkeiten wieder unter Beweis stellen. Oder, wie Schachmann zu Kämna über Puy Mary sagte: „Wir haben noch eine Woche.“